Ausstellung Institution Haus am Waldsee - Internationale Kunst in Berlin
Ingo Mittelstaedt betrachtet die Versammlung von Kunstwerken aus der Sammlung Peter Raue als gedankliches Rohmaterial, das er nach eigenen Kriterien auswählt, collagiert und mit Fotoarbeiten sowie Fundstücken aus seinem Atelier in Beziehung setzt. Autorschaft und Besitz gehen in einem Netzwerk von Bezügen, Bildern, Objekten und Texten auf.
„Chinese Whispers“ ist weder allein eine Hommage an den herausragenden Anwalt der Künste und Sammler, Peter Raue, noch das Ergebnis einer kuratorischen Leistung des Künstlers Ingo Mittelstaedt. Vielmehr stellt sich die Gesamtinstallation als Kunstwerk dar. In acht Raumbildern bricht Mittelstaedt Hierarchien der Kunstgeschichte auf und unterläuft herkömmliche Regeln der Ausstellungspraxis. Wie in einem digitalen Netzwerk geraten Werke aus der Sammlung, Fotografien und Fundstücke aus dem Atelier in ein ebenso dichtes, wie leises und überraschendes Gespräch darüber, wie künstlerische Ideen im 21. Jahrhundert lebendig bleiben.
In diesem Sinne breitet Mittelstaedt die von ihm ausgesuchten Teile der Sammlung Peter Raue als Reservoire künstlerischer Bezüge aus, die er, in der Tradition der Londoner Independent Group der frühen 1950er Jahre, mit trivialen Objekten und eigenen fotografischen Arbeiten, die ebenfalls aus einfachen Fundstücken aufgebaut sind, anreichert. In diesem Transformationsprozess werden Kunstwerke von gesellschaflichen Normen und Bewertungen befreit und auf ihre künstlerischen Inspirationsquellen zurückgeführt.
Einstieg und Klammer der Ausstellung bietet ein Langgedicht von Wallace Stevens (1879 - 1955), das der Dichter, der auch als Rechtsanwalt tätig war, 1937 verfasst hat: The Man with the Blue Guitar. Stevens beschwört darin das Verhältnis von Realität und menschlicher Einbildungskraft, von Phantasie und Imagination. Mit der Blauen Gitarre schrieb er, „(...) wollte ich ein paar Dinge sagen, die zu sagen es mich drängte: 1. über die Wirklichkeit, 2. über die Imagination, 3. über ihre Beziehungen zueinander und 4. über meine grundsätzliche Haltung zu jedem einzelnen dieser vier Punkte (...)“. Während Stevens sich 1937 von Picassos Gemälde Alter Mann mit Gitarre (1903) hat inspirieren lassen, nahm wiederrum David Hockney Mitte der 1970er Jahre das Gedicht von Stevens zum Anlass einer druckgrafischen Serie, die er The Blue Guitar (1976/77) nannte. Ein Exemplar dieser 20-teiligen Serie von David Hockney befindet sich heute in der Sammlung Peter Raue. Ingo Mittelstaedt nimmt das Gedicht von Wallace Stevens sowie die Serie von David Hockney als Ausgangspunkt, um „Chinese Whispers“ in Gang zu setzen. Er widmet ihnen die zentrale Installation im Erdgeschoss.
Zwei weitere Schwerpunkte seiner räumlichen Ideentransformationen schafft Ingo Mittelstaedt im Obergeschoss des Hauses am Waldsee. Hier stehen Arbeiten von Marcel Broodthaers und Rebecca Horn im Fokus. Auch Rebecca Horn geht in ihren Arbeiten von Texten aus, um Räume poetisch zu verdichten und physisch fühlbar zu machen. Dieser Werkansatz kommt Mittelstaedt, der ursprünglich von der Performance kommt, sehr nahe. In der Ausstellung überträgt er das große Konvolut an Arbeiten von Rebecca Horn in der Sammlung Peter Raue in einen dichten Raum aus persönlichen Postkarten, Fotografien und beweglichen Kammerstücken. Es entsteht eine ungewöhnliche Hommage an eine der großen deutschen Künstlerinnen nach 1945.
„Chinese Whispers“ zeigt acht sprechende Bilder im Raum. Sie setzen sich aus über einhundert Kunstwerken aus der Sammlung Peter Raue, an die vierzig Fotoarbeiten von Ingo Mittelstaedt sowie Fundstücken und Objekten aus dem Atelier des zwischen Hamburg und Berlin pendelnden Künstlers zusammen. Dabei stammen viele der in den Diskurs aufgenommenen Arbeiten von Künstlern, die früher bereits im Haus am Waldsee ausgestellt haben: Cy Twombly (1963), Joseph Beuys (1967), Rainer Kriester (1972), Marcel Duchamps (1973), Marcel Broodthaers (1974), David Hockney (1975), Rebecca Horn (1975) und Gotthard Graubner (1987).
Es erscheint ein Katalog. Hrsg. und eingeführt von Katja Blomberg, mit einem Essay von Wolfgang Ullrich. Verlag Walther König, Deutsch/ Englisch. 80 S., € 18
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