Ausstellung Galerie Galerie Karsten Greve
Thomas Brummett ist ein Künstler, dessen Reise auf zwei ineinander verschlungenen Pfaden verläuft. Voller Sensibilität und Achtsamkeit sucht er das Wesen der natürlichen Welt aufzuspüren, indem er seine unmittelbare Umgebung ins Visier nimmt. Sein Augenmerk richtet sich etwa auf einen Zweig, einen flüchtigen Lichtstrahl.
Zugleich erforscht er das Medium der Fotografie durch seine experimentelle Herangehensweise, wobei er die multiplen Möglichkeiten der Herstellung eines Bildes mittels Licht und den Spuren von Gegenständen auf licht-empfindlichem Papier auszuloten sucht. Sämtliche Arbeiten von Thomas Brummett stammen aus der Serie Rethinking the Natural, ein lebenslanges Projekt, das er beständig fortsetzt.
Brummett wurde 1955 in Colorado geboren und entwickelte schon früh ein besonderes Gespür für die ausge-dörrten Wüstenlandschaften und schwindelerregend hohen Gebirge. Er studierte Keramik und Fotografie an der Colorado State University (BFA, 1979) und der Cranbrook Academy of Art in Michigan, (MFA, 1982) und zog anschließend nach Philadelphia, wo seine Tochter geboren wurde. Thomas Brummett wuchs in einer der Epi-skopalkirche zugehörigen Familie auf, in der mehrere Mitglieder Geistliche waren. Nach ausgedehnten Reisen nach Indien und Asien erkannte er, dass die in den abrahamitischen Religionen geschilderten Erzählungen für ihn an Bedeutung verloren hatten und sah sich zunehmend zum fernöstlichen Taoismus und der buddhistischen Lehre hingezogen. Doch anstatt zu einer transzendentalen Pilgerreise aufzubrechen, die die Erleuchtung im Jen-seits, durch die Hinwendung zu einer im Himmel angesiedelten und von der Schöpfung losgelösten Gottheit zu erlangen sucht, folgte Brummett der fernöstlichen, klösterlichen Tradition und begab sich auf eine Reise der Erforschung des Hier und Jetzt durch die intensive Wahrnehmung der ihn umgebenden Welt. Eine solche ver-stärkte Beobachtung unmittelbarer Erscheinungen findet eine Entsprechung in der wissenschaftlichen Methodik. Es ist daher wenig verwunderlich, dass die moderne Wissenschaft und Mathematik von taoistischen und bud-dhistischen Gedanken durchdrungen ist. So schrieb der österreichische Logiker Ludwig Wittgenstein einst: „Der Ort, an den ich gehen muss, ist der Ort, an dem ich bereits bin“ (Notizen, 1930). Auch Brummetts Arbeiten wohnt diese Kombination aus meditativer Praxis und moderner Wissenschaft inne.
Die beiden untrennbar miteinander verknüpften Schwerpunkte der künstlerischen Auseinandersetzung Brum-metts lassen sich besonders deutlich in der Werkreihe Infinities und Light Projections erkennnen. In der Werk-reihe Light Projections nutzte Brummett die sogenannten „Zerstreuungskreise“. Diese Zerstreuungskreise sind ein optischer Effekt, den die Linse erzeugt, wenn sie nicht scharfgestellt ist. Diese Eigenschaft der Linse wird mit dem japanischen Wort für „verschwimmen“ oder „verwackeln“, bokeh, bezeichnet. Brummetts Vorgehens-weise, durch die Beherrschung dieser Zerstreuungskreise Bilder zu erzeugen, ist einzigartig in der Geschichte der Fotografie. Die Abzüge dieser Serie sind nach Brummett „eine gegenständliche Darstellung des Lichts = des Unendlichen“. Für ihn sind die Light Projections „ein perfektes visuelles Symbol des Unendlichen“. Nach Aus-sage des Künstlers „ist das Licht Teil der natürlichen Welt, es bildet die Grundlage allen Lebens und der Ener-gie. Ich habe hier meine Aufmerksamkeit nicht von der Natur abgewendet, sondern sie vielmehr auf ihre Essenz gerichtet. Ich habe die Natur auf ihre reinste Form reduziert – Licht“. Mit diesen Worten greift Brummett auf Aussagen der Mystiker zurück, welche stets das Licht mit der Unendlichkeit in Verbindung brachten, und diese Konzepte mit göttlichen Zuweisungen versahen. Die Begriffe Licht und Unendlichkeit erfahren durch Brummett eine besondere Betonung und übergeordnete Bedeutung, die schon in der klassischen griechischen Tradition in Verbindung mit „dem Guten“, „dem Rechten“ und „dem Dreieck“ steht. Nach Plato sind diese Konzepte Aus-druck des Göttlichen. Die Verbindung zwischen dem Licht, der Unendlichkeit und einer Göttlichkeit ist somit tief in westlichen Denkkulturen verwurzelt.
Für einen Amateurastronomen ist es einfach, ein Foto durch ein Standteleskop aufzunehmen, aber für einen Nicht-Wissenschaftler ist es unmöglich, sich auf ein Teleskop zu begeben, welches die Erde außerhalb ihrer Atmosphäre umkreist. Um Fotos des Weltalls zu produzieren, benutzte Brummett daher von der NASA zur öffentlichen Verfügung gestellte Aufnahmen, die durch das Weltraumteleskop Hubble entstanden sind. Ausge-hend von diesen Aufzeichnungen von Licht – einem transatmosphärischen Rückblick durch die Zeit – bearbeitet der Künstler die Aufnahme gleichsam für die Drucklegung. Er verringert die Sättigung und überlagert die Bil-der schichtweise mit anderen Motiven, die allesamt aus der Natur stammen. Diese Bildebenen umfassen Fotos von Sternen, Magnolienbäumen und Schneeflocken auf einem Scanner, sowie Spuren von Staub und Schimmel aus seinem Studio. (Infinities, 2013-16). Brummett versucht den Gedanken von William Blake bildhaft einzu-fangen: Das Aussehen der Welt, „wenn die Türen der Wahrnehmung frei wären und alles so erscheinen würde, wie es ist, unendlich“ (Die Vermählung von Himmel und Hölle, 1793).
Der Künstler bezeichnet seinen Arbeitsprozess in der Dunkelkammer als „entropisch“. Mit dieser aus der Ther-modynamik entliehenen Begrifflichkeit wird ein Vorgang beschrieben, bei dem Energie umgewandelt wird: „Ich stelle zunächst einen schwarzen Abzug des Bildes her und erwecke ihn dann durch Bleichen, Bürsten und den neuerlichen Entwicklungsprozess zum Leben. Jedes Bild ist einzigartig, weil der Vorgang an sich vom Zu-fall bestimmt wird. Das Bleichen greift das Metall im Papier an und frisst es buchstäblich auf.“ Ein Ablauf, der in der Tat entropisch ist, „da die Silberatome sich von einem sehr geordneten Zustand in einen chaotischen Zu-stand der Auflösung oder auch Aufsplitterung bewegen, was wiederum wunderschöne Linien und Ränder er-zeugt.“
(Auszüge aus einem Text von Lynn Gamwell, 2016)
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