Ausstellung Museum Museum für Aktuelle Kunst - Sammlung Hurrle Durbach bei Offenburg
Kaum ein Künstler hat Leben und Kunst so kompromisslos miteinander verbunden wie Herbert Zangs – ohne Rücksicht auf Karriere, Gesellschaft, Kunstströmungen. Diesem Desinteresse am Kunstbetrieb ist es zuzuschreiben, dass er erst spät als Pionier anerkannt wurde und die Kunstgeschichte sich bis heute damit schwertut, seinem Werk den angemessenen Platz einzuräumen. Die Vielfalt seines Schaffens und seine wegweisende Bedeutung zu präsentieren, ist Ziel dieser Retrospektive, die mit mehr als 80 Exponaten einen umfassenden Einblick gewährt.
Schon 1952 experimentiert Zangs mit den „Verweißungen“: Er montierte „objets trouvés“, also ausgemusterte, überflüssige, verfallende Gegenstände auf die Leinwand und überzog sie mit einer dünnen Weißschicht, die sie optisch mit dem Hintergrund verbindet, ohne sie vollständig zu verdecken. Es ist die schneebedeckte Landschaft Finnlands, wo er als Soldat der Luftwaffe stationiert war, die ihn inspiriert: die Schneeschicht, welche die Formen der Landschaft abstrahiert.
Weiß steht – ebenso wie die zerstörten, ausgemusterten Gegenstände - für die Stunde Null, für den totalen Umsturz und für eine Grenzerfahrung, die weit über die einfache Schönheit der Landschaft oder die Wahrnehmung des Dinglichen hinausreicht.
Das Informel, das in Deutschland unter anderem mit der Gruppe Quadriga ab 1952 an Bedeutung gewinnt, löst die Form zunächst nur malerisch auf und trägt einem gestischen, emotionalen Kunstschaffen Rechnung. Zangs hingegen durchdringt seine Bildoberfläche mit realer Bewegung, öffnet die Bildfläche selbst in den Raum hinein. Immer wieder erweitert er sein Repertoire, seine Kunst ist ständig in Bewegung, wie er selbst: Er schafft die Rechenzeichen-Collagen, die „Faltungen“ und die „Knüpfungen“, wo er kleine Objekte wie Korken in einen Baumwollstoff einknüpft. Außerdem erfindet er die Gussreliefs, wo er industrielle Grundiermasse durch Pressluft in Form bringt, und durchlebt schließlich Mitte der 50er Jahre eine schwarze Phase. 1957 erfindet er die „Scheibenwischerbilder“, in denen er alte Autoscheibenwischer in Farbe taucht und auf den Bildträger aufsetzt – das serielle Element, das sich bereits in den Verweißungen findet, gewinnt nun an Bedeutung. Allerdings sind die Serien bei Zangs keineswegs von steriler Gleichmäßigkeit, sondern voller Störfaktoren wie Risse und Fehlstellen.
Nach einer Schaffenskrise in den 60er Jahren entwickelte er die Anti-Bücher - verstümmelte oder reduzierte Buchformen, mit denen er auf der Documenta 6 in Kassel 1976 präsent war:
Symbole der geistigen Leere zwischen den Seiten.
In die serielle Richtung gehen wiederum die „Pinsel-abwicklungen“ ab 1979, in denen mit Farbe bestrichene Pinsel über das Papier abgerollt werden, und die „Blasenbilder“ Anfang der 1980er Jahre. Hier taucht er Gläser in mit Graphit versetzte Seifenlauge und setzt sie den Bildträger auf, so dass Blasen entstehen, die beim Zerplatzen zufällige Bildeffekte produzieren.
Von Anfang an geht es Zangs um die Dynamik und Entgrenzung der Bildoberfläche, um Spannung und Verfremdung, wobei er seine Verweißungen zunächst nicht veröffentlicht – sie sind zu avantgardistisch. Und es ist Zangs einfach nicht wichtig, in der Kunstwelt Furore zu machen: So verschwindet er spurlos bei wichtigen Aufträgen oder lässt seine Werke oft irgendwo zurück, ohne sich weiter darum zu kümmern. Seine Kunst entsteht nicht im Atelier, sondern auf Reisen, wo er unter anderem Wols kennenlernt, mit dem er eine Zeitlang wie ein Clochard in Paris unter den Brücken lebt.
Da er nicht bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, verweigert er sich jeglicher Gruppenzugehörigkeit und bewegt sich auch permanent zwischen seinen eigenen Bildfindungen hin und her: Es gibt keine klare Chronologie in seinem Werk. Erst 1972 findet der Künstlerfreund Adolf Luther im Keller einer Schule in Krefeld per Zufall eine große Anzahl früher Werke von Zangs, der daraufhin selbst wieder auf seine frühen Ideen zurückgreift.
Herbert Zangs‘ Leben wie auch seine Kunst sind impulsiv, sich ständig verwandelnd, überkreuzend und Fundstücke anverwandelnd – Kunst war für ihn Metamorphose, Erfindung und Entdeckung, niemals Stillstand. So konnte er früh (und zunächst unerkannt) die avantgardistische Kunst von Manzoni, Mack und den „Nouveaux Réalistes“ vorwegnehmen. Auch heute noch ist seine Kunst wegweisend.
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