Ausstellung Galerie Galerie Karsten Greve
Die Galerie Karsten Greve Köln freut sich besonders, mit Lucio Fontana – Crosses die erste Ausstellung auszurichten, die sich thematisch mit der Gruppe der keramischen Kreuze und Kreuzigungen von Lucio Fontana (1899 – 1968) überhaupt befasst. Im Mittelpunkt der umfassenden Präsentation stehen über 20 Werke, deren figurative Gestaltung auf Motive der christlichen Ikonografie zurückgeht.
Seit bereits 40 Jahren engagiert sich Karsten Greve für das Werk Lucio Fontanas. Schon 1977 wurden in der Galerie Karsten Greve, damals in der Lindenstraße in Köln gelegen, dreißig Arbeiten von maßgeblicher Bedeutung ausgestellt, die sich heute größtenteils in wichtigen Museen, Stiftungen und Sammlungen befinden. Die Ausstellung Plastiken und Bilder 1953-1962 folgte 1980 und bot ebenfalls eine Zusammenstellung aus Concetti spaziali, Buchi und Tagli. 1994 fand eine umfassende Präsentation skulpturaler Werke in der Galerie Karsten Greve Paris statt. 2012 würdigte eine Sonderausstellung mit dem Titel Io sono uno scultore e non un ceramista erneut das plastische Werk Fontanas, welches an zentraler Stelle innerhalb seines Oeuvres steht. Zahlreiche, von der Galerie herausgegebene Publikationen beleuchten wissenschaftlich fundiert das künstlerische Schaffen Fontanas. Der aktuelle, ausstellungsbegleitende Katalog Crosses bietet einen umfassenden Überblick über die vielfältigen Darstellungen der Kreuzmotivik, veranschaulicht durch Textbeiträge von Choghakate Kazarian, Musée d´Art Moderne de la Ville de Paris, und Prof. Ugo Perone, Humboldt-Universität, Berlin.
Lucio Fontana verfolgt in seinem Schaffen ein primär plastisches Anliegen, welches sein künstlerisches Selbstverständnis als Bildhauer begründet. Beeinflusst durch die Tätigkeit seines Vaters, der als Steinmetz auf die Fertigung von Grabmälern spezialisiert war, beteiligte sich Fontana zeitweise als Bildhauer in dessen Atelier. Ab 1935 fertigte er eigene keramische Plastiken, ab 1936 entstehen in Zusammenarbeit mit der Manufaktur Sèvres Werke in Porzellan. Er begreift „Keramik als Bemühung um die reine Kunst – Form, Farbe und vibrierendes Licht – antidekorativ, wenn man unter dekorativer Kunst etwas Dekadentes versteht.“
Bereits die frühen farbigen Anilinbilder, deren Komposition nicht nur durch den Farbauftrag, sondern durch leibhaftige Eingriffe in die Integrität des Bildträgers bestimmt war, dienen ihm der Erforschung und Auslotung der Dreidimensionalität. So galt das Aufschlitzen und Durchstoßen als gestalterische Intervention unter Berücksichtigung der unmittelbaren konkreten, materiellen Gegebenheiten der Leinwand. Diese Verletzungen des traditionellen Bildträgers entsprechen einer radikalen Auffassung von Kunst, die seit 1947 von Fontanas Streben nach einer auf den Vorstellungen des Futurismus beruhenden Dynamisierung geleitet war. Schon in seinem Manifesto bianco von 1946 beschwor Fontana die Dringlichkeit der Aufhebung einer statischen, dem Stillstand verhafteten Kunst und propagierte stattdessen die Zeit und die Bewegung im Raum. Diese neue Ästhetik bestand für ihn „in der Inbesitznahme des Raumes, in der Loslösung von der Erde, von der Horizontlinie, die Jahrtausende lang die Basis der Ästhetik und des Proportionsgefühls war.“ (Lucio Fontana).
1946 formierte sich um eine Gruppe von Künstlern in Mailand der Spazialismo, der auf der XXIV. Biennale in Venedig 1948 unter Neue Front der Kunst bekannt wurde. Diese Vereinigung vertrat die Ansicht, dass das traditionelle Bild bzw. der Bildträger „alt“ und damit überholt sei. Unbedingtes Ziel war es, das darstellende, repräsentative Bild bzw. Abbild aufzuheben und stattdessen die Raumerfahrung über alles andere zu stellen, nämlich in der Zusammenwirkung von Zeit, Richtung, Klang und Licht.
In dynamischer Umsetzung der Einsicht, dass natürliche Elemente wie Partikel, Strahlen, Elektronen unkontrollierbar und mit gewaltiger Kraft auf Oberflächen einwirken, vollzieht Fontana die Perforierung der „alten“ Leinwandoberfläche mittels Schnitten und Löchern, um Plastizität zu erzielen. Getragen von dieser Ambition, die Malerei in ihrer Flächigkeit und damit in ihrer illusionistischen, über sich hinausweisenden Eigenschaft anzugreifen, führen die revolutionären Gesten Fontanas die Durchlässigkeit der Leinwand herbei. Sie veranschaulichen ihre Räumlichkeit als ein „von aller malerischen und propagandistischen Rhetorik“ befreites bzw. „sich frei entfaltendes, unbegrenztes Kontinuum“, so dass gleichwohl die Grenze zwischen Malerei und Skulptur aufgehoben und die Gattungen in einem reinen Concetto spaziale aufzugehen scheinen.
Zeitgleich mit den Neuerungen Fontanas innerhalb des Spazialismo, die raumbezogene, rein abstrakte Kunst voranzutreiben, entstehen figürliche Werke, wobei die Gruppe der Kreuze und Kreuzigungen den Hauptanteil bilden. Damit wird das Raumkonzept des Concetto spaziale auch auf thematisch gebundene Werke angewandt.
Die meisten der Kruzifixe und Kreuzigungen sind somit in der Hochphase von Fontanas Beschäftigung mit Raumkonzepten zwischen 1947 und Mitte der 1950er Jahre entstanden. Sein Beitrag zur XXIV. Biennale in Venedig 1948 bestand aus vier plastischen Werken, darunter die in dieser Ausstellung gezeigte Crocifissione (1948). Die Aneignung des Raumes mit expressiv-dynamischer Geste lässt sich in der aufstrebenden Bewegung der Figuren nachvollziehen, in der Aufwallung des drapierten Lendenschurzes Christi und den ausladenden Gewandfalten. Hier betreibt Fontana die „restlose Abschaffung des Volumens“ zugunsten einer räumlichen Öffnung und Ausdehnung in barocker Manier: Die Konfigurationen sind bis auf den markanten Umriss des Kreuzes in den turbulenten Verwirbelungen gleichsam aufgelöst, zu reiner, aerodynamischer Fluktuation und Geschwindigkeit abstrahiert, als Ausdruck des „Dramas der Kraft und der Bewegung“.
Die ausgestellten Arbeiten erscheinen somit als Ausdruck von Fontanas neuem raumgreifenden Ansatz und stehen zugleich im Zeichen einer ikonografischen Tradition, zu welcher Darstellungen von Kreuzigung, Kreuzabnahme, Himmelfahrt, Madonna mit Kind gehören. Sie faszinieren besonders dadurch, dass sie das Raumkonzept Fontanas auf betörend sinnliche Weise erfahrbar werden lassen: Durch den Schmelz der Oberfläche und die schillernde Farbgebung, durch die sich steigernde, anschwellende Form, welche die luftige, aufgewirbelte Umgebung der Figur einbezieht, verkörpern sie atmosphärische Ambienti spaziali, in welche die schnelle und spontane Bearbeitung der Tonmasse durch Schnitte und Schlitze sichtbar eingeschrieben ist. Das aufwändige Modellieren weicht einer flüchtigen Technik, die den Entstehungsprozess und das Vor- und Eindringen in den Raum selbst verbildlicht.
Ads