Was muss es für ein Glück sein in eine Sammlung von 80.000 Zeichnungen einzutauchen. Und wie schwierig muss gleichzeitig sein, aus diesem unschätzbaren Fundus 200 Werke aus dem 19.Jahrhundert auszuwählen. Werner Spies ist es gelungen. 130 der besten grafischen Blätter wählte der Kurator aus dem Archiv des Musée d'Orsay aus und lies diese mit Arbeiten zeitgenössischer Künstler, Autoren und Filmemachern in Dialog treten.
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„Wer Musée d'Orsay eingeladen wird, ohne stilistische oder thematische Vorgaben in einem Meer von acht-zigtausend Blättern zu fischen, gerät im Kopf in Seenot.“
Werner Spiess, im Katalog zur Ausstellung (Sieveking Verlag)
Entstanden ist die spannende und sehenswerte Ausstellung „Archiv der Träume. Zeichnungen des Musée d’Orsay“. Werner Spies, von 1997 bis zum Jahr 2000 Direktor des Centre Beaubourg, des heutigen Centre Georges Pompidou in Paris, ließ man bei der Auswahl der Zeichnungen freie Hand. Schließlich war der Kunsthistoriker, Journalist und ehemalige Museumsdirektor mit vielen der ausgestellten Künstler bekannt und befreundet. Wie mit Pablo Picasso oder seinem „Lebenskünstler“ Max Ernst, wie im Übrigen in der empfehlenswerten Autobiografie „Mein Glück“ nachzulesen ist.
Abb.: Edgar Degas, Nach dem Bad (Frau, sich den Nacken trocknend), 1895–1898
Paris, Musée d’Orsay, Dist. RMN-Grand Palais: Hervé Lewandowski, Sieveking Verlag
Nicht wenige Experten sagen, die Zeichnung sei das direkteste Werk eines Künstlers überhaupt. Es ist die unmittelbare Handschrift des Künstlers, die sich auf dem Papier, Karton oder anderen Objektträgern zeigt. Egal ob als Studie, Notiz oder abgeschlossenes Werk – kein anderes Werk überträgt die Idee und den Impuls des Künstlers direkter, als die Zeichnung.
Werner Spies bat nach der Auswahl der Zeichnungen, bedeutende Autoren und Künstler auf die ihnen empfohlenen Werke in Wort oder Bild zu reagieren. Und so kam es zu spannenden Dialogen und Interpretationen wie der von Kiki Smith und Erwin Wurm die sich mit der Paul Cézanne Zeichnung „Harlekin, Studie für Mardi gras“ (1888) auseinandersetzten. Weitere Beispiele sind ein Negativbild welches Thomas Ruff vom „Selbstbildnis“ Lovis Corinth (1923) anfertigte. Überraschend ist die Nähe von Neo Rauch zum Symbolisten Carlos Schwabe.
Wer es bis Anfang Mai nicht in die Albertina nach Wien schafft, für den gibt es den mit 224 Farbabbildungen bestückten und über 340 Seiten starken Katalog. Erschienen ist dieser im Sieveking Verlag. Die ausgewählten Zeichnungen sowie ihre Interpretationen sind mit je einem kleinen Text flankiert. Zwar ersetzt der Katalog nicht den Besuch der Ausstellung, aber er verstärkt das Verlangen nach Wien zu reisen.
Katalog Archiv der Träume. Zeichnungen des Musée d’Orsay
Sieveking Verlag
erschienen 2015
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Jean-François Millet, Kopf eines zotteligen und Grimassen schneidenden Mannes oder Der Kopf des Ogers, Illustrationsentwurf zu Petit poucet von Charles Perrault, 1857
Paris, Musée d’Orsay, Dist. RMN-Grand Palais: Tony Querrec, Sieveking Verlag
Auswahl der Künstler des 19. Jahrhunderts:
Charles Baudelaire, Eugène Boudin, Gustave Courbet, Honoré Daumier, Edgar Degas, James Ensor, Édouard Manet, Jean-François Millet, Gustave Moreau, Odilon Redon, Pierre-Auguste Renoir, Carlos Schwabe, Georges Seurat, Paul Signac uvm.
Auswahl der zeitgenössischen Künstler + Autoren:
Pierre Alechinsky, Paul Auster, Georg Baselitz, Hans Magnus Enzensberger, Durs Grünbein, Andreas Gursky, Peter Handke, Michael Haneke, David Hockney, Alex Katz, Anselm Kiefer, Alexander Kluge, Jonathan Meese, Herta Müller, Cindy Sherman, Kiki Smith, Tomi Ungerer, Mario Vargas Llosa, Nike Wagner, Wim Wenders, Yan Pei-Ming uvm.
Archiv der Träume. Zeichnungen des Musée d’Orsay
Albertina in Wien
bis 3. Mai 2015